Provenienz ist ein entscheidendes Merkmal von archivischer Überlieferung. Die Herkunft der Dokumente entscheidet über ihre Zuordnung zu einem Archivbestand. Deswegen ist die Ermittlung von Provenienzen für Archive eine alltägliche Arbeitsaufgabe.

Die Autopsie ergab, dass das Buch von 1873 dem Mediziner Dr. Emil Löwinson (1869 – 1939) zugeschrieben werden kann (Landesarchiv Berlin, Dienstbibliothek, Signatur 2775).
Die Autopsie ergab, dass das Buch von 1873 dem Mediziner Dr. Emil Löwinson (1869 – 1939) zugeschrieben werden kann (LAB, Dienstbibliothek, Signatur 2775).

Die Provenienzforschung, wie sie sich insbesondere nach der „Washingtoner Erklärung“ von 1998 als wissenschaftliche Disziplin etabliert hat, widmet sich der Erforschung der Herkunft von Kunst- und Kulturgut im weitesten Sinne und schließt dabei auch Archivgut ein. Spätestens mit der „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vom Dezember 1999 waren alle Kulturgut bewahrenden Einrichtungen in Deutschland gehalten, sich dieser umfassenden Aufgabe zuzuwenden.

Außerdem rückt der Aspekt der Kulturgutentziehungen in der DDR mehr und mehr in den Fokus der Provenienzforschung.

Das Landesarchiv hat das Forschungsinstitut Facts & Files beauftragt, zunächst die Buchbestände seiner Dienstbibliothek nach Fremdprovenienzen zu untersuchen. Das Projekt wurde in den Jahren 2020 und 2021 von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa gefördert und finanziert. Zum Internationalen Tag der Provenienzforschung am 13. April 2022 veröffentlicht das Landesarchiv Berlin erste Ergebnisse dieses Projektes.


Provenienzrecherchen in der Bibliothek
des Landesarchives Berlin

Das Exlibris weist auf den ursprünglichen Eigentümer, den Juristen Dr. Benno Mühsam hin. Es findet sich in einem Band, der 1944 in das Stadtarchiv kam (LAB, Dienstbibliothek, Signatur 5837).
Das Exlibris weist auf den ursprünglichen Eigentümer, den Juristen Dr. Benno Mühsam hin. Es findet sich in einem Band, der 1944 in das Stadtarchiv kam (LAB, Dienstbibliothek, Signatur 5837).

Zum Archiv- und Sammlungsgut des Landesarchivs Berlin gehört eine wissenschaftliche Präsenzbibliothek mit ca. 150.000 Medieneinheiten, deren Herkunft, nicht zuletzt bedingt durch die frühere Teilung Berlins, nur teilweise erforscht ist. Das Landesarchiv hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, die Provenienz des Buch- und Zeitschriftenbestandes untersuchen zu lassen und Facts & Files – Historisches Forschungsinstitut Berlin 2020 beauftragt, die Provenienzen der Bestände des alten Berliner Stadtarchivs (bis 1945) sowie die Bestände des Stadtarchivs Ost-Berlin und des Landesarchivs West-Berlin, die bis 1990 bestanden, zu ermitteln. Bücher, die von ihren ehemaligen Eigentümern unter dem Druck der Verfolgung durch die Nationalsozialisten veräußert oder die diesen entzogen worden waren, sollten damit identifiziert und dokumentiert werden. Das Projekt konnte dank der Förderung der Senatsverwaltung für Kultur und Europa realisiert werden.

Es wurden die Bücher als auch die Periodika bis zur Signatur 10.100 auf Provenienzmerkmale, wie Exlibris, Stempel, Widmungen und Autogramme untersucht, die Zugangsbücher sowie Kataloge ausgewertet und umfangreiche Recherchen zu den ermittelten Voreigentümern durchgeführt.

Insgesamt wurden in beiden Teilprojekten 677 Titel mit Hinweisen auf ihre Voreigentümer mit insgesamt 602 Provenienzmerkmalen im Bestand der heutigen Bibliothek ermittelt. Aus diesen in den Büchern oder Zeitschriften vorhandenen Vermerken konnten 261 ehemalige Eigentümer dokumentiert werden, von denen 142 identifiziert oder mit hoher Wahrscheinlichkeit identifiziert wurden. Für 26 Bücher ergab sich der Verdacht, dass ihnen das entsprechende Buch in der NS-Zeit verfolgungsbedingt entzogen worden war.

Exlibris des Juristen Dr. Paul Friedeberger im Buchtitel „Die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin: 1763-1913“. Das Stadtarchiv Berlin (Ost) erwarb das Buch 1950 (LAB, Dienstbibliothek, Signatur 2758).Exlibris des Juristen Dr. Paul Friedeberger (*1891 in Braunschweig) mit dem Bild eines Pianisten am Flügel im Buchtitel „Die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin: 1763-1913“, Berlin 1913. Das Stadtarchiv Berlin (Ost) kaufte das Buch 1950 beim Antiquar Georg Pinske (Landesarchiv Berlin, Dienstbibliothek, Signatur 2758)
Exlibris des Juristen Dr. Paul Friedeberger im Buchtitel „Die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin: 1763-1913“. Das Stadtarchiv Berlin (Ost) erwarb das Buch 1950 (LAB, Dienstbibliothek, Signatur 2758).

So wurden beispielsweise am 14. Januar 1944 an das Stadtarchiv Berlin 37 Titel aus dem Bestand der Berliner Stadtbibliothek zugewiesen. Möglicherweise gehören diese zu den knapp 40.000 Büchern, die der Stadtbibliothek von der Städtischen Pfandleihanstalt übergeben worden waren und die aus „Privatbüchereien evakuierter Juden“ stammten. Durch die Provenienzrecherchen konnten bisher sieben Bände aus dem Bestand des Stadtarchivs diesem Zugang im Januar 1944 zugeordnet und die Voreigentümer von fünf Bänden identifiziert werden.

Die Informationen zu den insgesamt identifizierten 26 Exemplaren und den 18 Personen, bei denen ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust ab 1933 zu vermuten ist, werden zeitnah auf veröffentlicht und bei gemeldet.

Beate Schreiber (Facts & Files)       Heike Schroll (Landesarchiv Berlin)

Abschlussbericht 2021 zur Untersuchung des Bibliotheksbestandes des Landesarchivs Berlin hinsichtlich seiner Provenienz

Abschlussbericht 2020 zur Untersuchung des Bibliotheksbestandes des Landesarchivs Berlin hinsichtlich seiner Provenienz


Die Provenienzforschung zu den Büchern ist noch nicht abgeschlossen. Hinweise nehmen wir gerne entgegen: info@landesarchiv.berlin.de